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Lawinenrucksack - Unterschiede erklärt

Aktualisiert: 16. Sept. 2021


Lawinenrucksäcke oder oft auch als "ABS-Rucksack" oder Airbag bekannt, sind eine großartige Erfindung für den Touren Sport. Sie sind das einzige aktive Hilfsmittel in einer echten Lawinensituation. Das LVS (Lawinen-Verschütteten-Suchgerät) hilft zwar dabei einen Verschütteten zu finden aber es kann nicht vor der Verschüttung selbst helfen. Ein Lawinenrucksack kann aber dabei helfen an der Oberfläche der Lawine zu bleiben und einer Verschüttung zu entgehen. Das Um und Auf jeder Tourenplanung ist natürlich seine Aufstiegs- und Abfahrtsroute so zu wählen um gar nie erst in eine solche Situation zu geraten. Ein Restrisiko bleibt jedoch häufig, denn Schnee kann heimtückisch sein und selbst versierten Tourengehern fällt es oft schwer alle Warnzeichen einer Gefahrensituation zu erkennen. Damit wird dieses verbleibende Risiko weiter minimieren können ist der Lawinenrucksack eine super Sache. Billig sind die Dinger nicht, aber jeder muss sich selber die Frage stellen: "How much is the life?" (nicht der Fisch)


Funktionsweise

Ich möchte euch zu Beginn noch kurz näher bringen wie denn so ein Lawinenrucksack überhaupt funktioniert und warum er vor einer Verschüttung schützen kann. Das Prinzip auf dem der ganze Hokuspokus basiert nennt sich landläufig "Müsliprinzip" und ja das hat was mit eurem Frühstück zu tun! Jeder kennt das mit dem guten Knuspermüsli aus der Dose oder dem Beutel. Die großen knusprigen Teile sind die Besten und die kleinen Haferflocken gehören halt dazu. Das Müsli besteht also aus großen und kleinen Teilen, genau so wie eine Lawine eigentlich. Schütteln wir das Müsli eine Weile kann man eine interessante aber logische Beobachtung machen.

Die großen Teile sammeln sich auf der Oberfläche, wohingegen die kleinen nach unten absinken.

Warum die eigentlich schwereren Teilchen nach oben wandern anstatt abzusinken hat womöglich mehrere Gründe und bis heute noch nicht ganz geklärt. Ein Phänomen, das Wissenschaftlern auch heute noch ein kleines Rätsel aufgibt. Unterschiedlich große Teilchen in einer Mischung trennen sich, wenn die Mischung geschüttelt wird, so die Beobachtung. Die gängigen Erklärungen sind, dass die kleinen Teilchen wie in einem Sieb durch die Zwischenräume zwischen den großen Teilchen langsam nach unten wandern können, bzw. dass beim Schütteln unter den großen Teilchen Hohlräume entstehen, die durch die kleinen Teilchen aufgefüllt werden, wodurch dann die großen Teilchen nach oben gedrängt werden.

Um vom Müsli wieder auf unsere Anwendung zurückzukommen, genau das ist dasselbe was in einer Lawine passiert und warum uns der Rucksack schützen kann. Durch das Aufblasen unseres großen Ballons werden wir plötzlich von einem kleinen zu einem "großen Teilchen" in der Lawine und haben, wie die knusprigen Brocken, eine größere Chance an der Oberfläche zu bleiben.


Limitierungen

Das ganze funktioniert zwar bewiesenermaßen relativ gut. Am Ende ist aber jede Lawine unterschiedlich und es kann auch trotz Rucksack zu einer Verschüttung kommen. Er verbessert eben nur unsere Chance oben zu bleiben, garantiert ist das leider nicht.

Unser tolle Müsliprinzip funktioniert leider auch nicht bei jeder Art von Lawine gleichermaßen. Grundsätzlich gibt es ja 5 unterschiedliche Lawinenarten: Schneebrettlawinen, Lockerschneelawinen, Gleitschneelawinen, Staublawinen und Nassschneelawinen. Bei letzteren zwei bleibt trotz aller Hilfsmittel keine große Überlebenschance. Glücklicherweise sind Staublawinen in unseren Breiten eher eine seltene Erscheinung, Nassschneelawinen können vor allem im Frühjahr eine große Gefahr sein. Leider hilft der Lawinenrucksack hier nicht wirklich weiter. Nassschneelawinen haben eine so ungeheure Kraft, dass eigentlich alles was verschlungen wird das auch bleibt. Gleitschneelawinen spielen für uns als Wintersportler nur eine untergeordnete Rolle, da diese nicht durch uns ausgelöst werden können. Sie lösen sich spontan und oft unvorhersehbar. Lockerschneelawinen lösen meist in sehr steilem Gelände nach kräftigen Neuschneefällen aus. Dabei rutscht der lockere unverfestigte Schnee ab und reißt bei seinem Weg nach unten immer mehr Schnee mit. Der klassische Schneeballeffekt. Für Wintersportler ist oft die Hauptgefahr mitgerissen zu werden. Da hilft auch der Airbag leider nicht großartig. Wo er aber sein volles Potenzial ausspielen kann, ist bei einer typischen Schneebrettlawine. Diese Art von Lawine ist die häufigste Ursache für Lawinenunfälle (ca. 90 %). Gut für uns also, dass bei der gefährlichsten Lawinenart der Rucksack gleichzeitig am besten funktioniert!




Elektrische vs. Gaspatronen Systeme

Derzeit gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Systeme wie der Luftballon aufgeblasen werden kann. Die altehrwürdige Methode mit der Hochdruck-Gaskartusche und die relativ neue Methode mit einem Turbokompressor und einer Batterie bzw. Stromspeicher irgendeiner Art. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile.


Gaspatronen

Die Auslösung über eine Gaspatrone gibt es seit Anbeginn der Ära Airbag. Auch heute noch funktionieren die meisten Modelle mit diesem Prinzip, dass die Firma ABS bereits 1985 zum ersten Mal auf der ISPO vorgestellt hat. Das Ganze funktioniert so wie man es sich ohnehin erwartet. Das komprimierte Gas in der Kartusche wird über ein mechanisches Ventil in den Airbag geleitet und blast diesen auf. Um die Kartuschen etwas kleiner bauen zu können haben sich die Ingenieure noch das Prinzip des sogenannten "Air-Amplifiers" zunutze gemacht. Dabei reißt die einströmende Luft über eine zusätzliche Öffnung Umgebungsluft mit und sorgt so insgesamt für mehr Volumen. Aber genug der harten Technikfacts und ab zu den Vorteilen. Ganz klare Nummer Eins ist dieses Konzept in puncto Zuverlässigkeit. Durch die mechanische Funktionsweise und die jahrelange Erfahrung bei der Entwicklung macht der Gaspatrone hier keiner so schnell was vor! Die Patronen sind inzwischen fast in jedem Sportgeschäft zu bekommen und durch die Weiterentwicklung zur Carbonpatrone auch noch einmal deutlich leichter geworden. Aber aufgepasst, wer damit ins Flugzeug will. Hochdruck-Gaskartuschen sehen die Fluggesellschaften gar nicht so gern in der Luft. Deswegen heißt's zu Hause lassen. Eine Ausnahme gibt es aber, das Doppelpatronensystem von Alpride, das vor allem Scott in seinen Rucksäcken verbaut. Die Rucksäcke von ABS kann man leider selbst ohne Patrone nicht im Flieger mitnehmen, da die Auslösung hier über ein kleines pyrotechnisches System funktioniert. Und auch wenn es nur sehr wenig ist, aber Sprengstoff sehen die am Flughafen noch viel weniger gern als Gaspatronen. Etwas unpraktisch ist dieses System auch was die empfohlene jährliche Testauslösung angeht. Ehrlich gesagt macht das ja ohnehin so gut wie keiner, da das eben bedeutet ins Sportgeschäft zu laufen, Kartusche einschicken, ewig warten, um dann wenn man sie wieder braucht, keine zu haben.


Elektische Systeme

Die elektrischen Systeme gibt es erst seit einigen Jahren. Immer mehr Hersteller trauen sich aber an die neue Technik heran. Dabei wird über ein Kompressorgebläse Luft in den Airbag gedrückt. Da das Ganze so schnell wie möglich passieren muss kommen speziell entwickelte extrem hochdrehende Gebläse zum Einsatz. Die elektrische Energie kommt entweder von Lithium-Ionen Akkus oder beim neuen E1-System von Alpride von sehr großen Kondensatoren. Grundsätzlich haben die elektrischen Systeme den Vorteil, dass sie beliebig oft auslösbar sind. Also kann man sie getrost vor jeder Saison testen oder auch mal als Kissen beim verdienten TAB (Tourenabschlussbier) einsetzen. Im Anschluss muss man lediglich den Akku wieder aufladen, den farbigen Ballon zusammenfalten und das System ist wieder bereit. Was die Aufblasgeschwindigkeit angeht stehen sie den Gaspatronen um ein paar zehntel Sekunden nach. Dennoch ist auch dieser Wert bei allen Systemen gut und bewegt sich meist zwischen 3 und 4 Sekunden. Zur Info, die europäische Norm fordert eine Aufblaszeit von weniger als 5 Sekunden für Lawinenairbags! Pieps (bzw. inzwischen Black Diamond) hat sich mit seinem "Jet-Force" System überhaupt was ganz schlaues einfallen lassen. Der Kompressor saugt den Airbag nach Auslösung nach 3 Minuten wieder leer, damit man im Fall einer tatsächlichen Verschüttung eine große Atemhöhle bekommt. So eine 150 Liter Atemhöhle wär im Ernstfall schon ein Luxus! Ein zusätzlicher Vorteil elektrischer Systeme ist die Möglichkeit einer Mehrfachauslösung. Sollte man aus Versehen oder aus einer überstürzten Reaktion den Auslöser betätigt haben, lässt sich der Rucksack wieder zusammenpacken und weiteres Mal verwenden. Vor allem in Gebieten wo nicht gerade ein Sportshop um die Ecke ist oder auf mehrtägigen Überschreitungen kann das ein Vorteil sein.


Fazit

Die Systeme mit Gaspatronen sind nach wie vor die am meisten verbreiteten, inzwischen aber wahrscheinlich vor allem dadurch bedingt, dass sie eine Spur günstiger sind (noch). In Zukunft werden immer mehr Hersteller die elektrischen Systeme verenden, da das auch für sie weniger Aufwand bedeutet (Patronen nachfüllen, tauschen, etc.). Die Vorteile der elektrischen Systeme werden sich meiner Meinung nach immer mehr durchsetzen. Trotzdem haben die klassischen Patronensysteme nach wie vor ihre Berechtigung. Sie funktionieren sehr gut und haben ihre Zuverlässigkeit mehrfach bewiesen! Wer jedoch bereit ist ein paar Euro mehr in die Hand zu nehmen wird die Vorteile der Elektrifizierung zu schätzen lernen!

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